Mont Ventoux in der Abendsonne (von Südwesten), Foto, Marcus Ostermann
Die Besteigung des Mont Ventoux durch den italienischen Dichter Petrarca im Jahr 1336 war die Geburtsstunde des modernen Alpinismus. Bei seiner Wanderung zum Gipfel scheute Petrarca keine Mühe und erreichte ihn nach eigener Aussage mit erregtem Herzen. Dies schreibt er am 26. April 1336 in einem ersten Brief an seinen väterlichen Freund Francesco Dionigi di Borgo San Sepolcro. Darin führt er aus, wie er die Landschaft wahrgenommen hatte. `Den höchsten Berg unserer Gegend, der nicht unverdienter weise der windige genannt wird, habe ich gestern bestiegen, lediglich aus Verlangen, die namhafte Höhe des Ortes kennenzulernen. Jener Berg, weit und breit sichtbar, stund mir fast allzeit vor Augen, allmählich ward mein Verlangen ungestüm und ich schritt zur Ausführung´.
Petrarca, Teil eines Freskos von Andrea di Bartolo di Bargilla (um 1450), Uffizien,Andrea del Castagno
Chapelle Sainte-Croix,eigen
Nach der Besteigung des italienischen Schriftstellers wurde es wieder still um den Berg. Ehe dort im 15. Jhd. die Chapelle Sainte-Croix erbaut wurde. Das Heilige Kreuz wird in der Regel am 14. September gefeiert und liegt somit in der Nähe des Herbstäquinokt- iums. Dieser Linie folgt auch der Höhenrückens des Mont Ventoux, der bis zum Gipfel fast exakt in west-östliche Richtung verläuft. Wie das Herbstäquinoktium war auch das im Frühling in der mediterranen Kultur von Bedeutung. Dies lässt gut an den Feier-lichkeiten der Quinquatria (maiores), zu Ehren des altitalischen Gottes Mars, vom 19.-23. März erkennen. Mars, ursprünglich ein Fruchtbarkeitsgott, trug unterschiedliche Beinamen. So wurde er der südwestlich gelegenen Stadt Carpentras auch mit dem Bei- namen Nabelcus auf einem Weihesteinen erwähnt. Mit diesem Beiname taucht er im Departement Vaucluse auch mehrmals an Orten mit Heilquellen auf. Der römische Gott, dessen Bild im Laufe der Geschichte mit dem griechische Ares verschmolz, wird auch gerne mit dem gallisch-keltischen Stammesgott Teutates gleichgesetzt. Der gilt seit Cäsars Schriften über den Gallischen Krieg und auch nach den Beschreibungen des römischen Dichters Lucanus, als der oberste Gott der Gallier.
Inschrift auf Bronzetafel, Mars Nabelcus
Lucanus beschreibt in seinem Gedicht über die Schlacht in Pharsallus auch die drei obersten Götter der Gallier. Zu denen zählte er Teutates, Esus und Taranis. Dabei wird regelmäßig kolportiert, dass in diesem Text von grausamen Menschenopfern an die drei Götter die Rede ist. Doch im Original ist davon nichts zu lesen, wie wohl auch der Dichter selbst die Gottheiten nur vom Hörensagen kannte. Während Cäsar die gallische Welt selbst erlebt hatte, hatte der Dichter ab der Mitte des 1. Jhd`s gelebt, als die gall- isch-keltische Welt mit ihren Druidenschulen längst Geschichte war. Insofern sind wohl auch die dem Mars geweihten Inschriften vor dem Hintergrund einer Vermischung mythologischer Vorstellungen zu sehen. Die Namen der Gottheiten wie des Teutates lassen sich aus der indogermaninschen Sprache ableiten, wo er so viel bedeutet wie Bildern und Schöpfer. Eine ganz ähnliche Gottheit mit dem Namen Tvashtar existiert auch in den indischen Mythen, wo er als der Urahn der Menschen beschrieben wird. Das Bild eines Urahns und das eines kriegerischen Gottes sind zwei gegensätzliche Vorstellungen, von denen am Ende nur noch der kriegerische Aspekt übrig blieb.
Tvastar
Auf ganz ähnliche Weise dies wohl mir dem Namen des Berges geschehen, dessen Ursprung im Name `Mons Ventosus´, der windige Berg gesehen wird. Auf dem völlig kahlen Bergplateau, auf dem der Besucher Winden schutzlos ausgeliefert ist, mag dies auch der erste Eindruck sein. Betrachtet man aber das lateinische Verb venire, das kommen und abstammen bedeutet , bietet sich auch eine andre Erklärung. Das Verb ist auch mit venia, die Familie oder der Stamm verwandt Damit biete es, zusammen mit der Richtung des Gipfels nach Nordosten eine Brücke zu einer ganz anderen Interpretation des Namens Ventoux. So weist der Gipfel des Mont Ventoux nicht wie der gesamte Bergrücken nach Osten, sondern mit seiner Mittellinie auf den Sonnenaufgang am 1. August. Dieses Datum war nicht nur Auftakt der Ernte, sondern damit verbunden war auch eine Stammesversammlung. Diese Tradition lebt noch heute in der Schweiz fort, wo am 1. August dem Schwur auf der Rütli Wiese gedacht wird. Dieser Aspekt ist auch aus dem keltischen Wort lugiom, der Eid, ehrlich oder reden, verborgen. Später wurde diese Bedeutung dann genau ins Gegenteil verwandelt und wurde im Althocheutschen zur Lüge. Im irischen Kalender blieb diese Tradition erhalten, denn dort trägt der Monat August noch heute den von Lugnasadh abgeleiteten Namen Lunasa. Ein anderer Brauch der heute völlig unbekannt ist, lebte noch ins 16. Jhd. fort, denn am Tag des Lugh konnte eine Versuchsehe geschlossen werden, die nur ein Jahr Bestand hatte. An diesem Tag steht der Sonnenaufganges auch im Einklang mit der Ausrichtung des Gipfels. Die Sonne geht dann über dem bei Embrun gelegenen Mont Guillaume auf, wo während des Frühlingsäquioktiums Arktur zum ersten Mal zu sehen war. Wie auf dem Ventoux befindet sich auch hier eine Kapelle mit einer Quelle, die Wasserquelle des Lebens genannt wird.
Mont Ventoux. das perfekte Observatorium
Trotz der längst vergangenen Kultur umgibt dem Berg noch immer die sakrale Atmo- sphäre die nach einer Versammlung verlangt. Sie findet heute durch die Tausende von Radfahrern statt, die hier jedes Jahr ihre Kräfte bei der fast endlos erscheinenden Auffahrt zum Gipfel unter Beweis stellen.
Mont Ventoux Plateau
Bilder: Wikipedia / Mont Ventoux in der Abendsonne (von Südwesten), Foto, Marcus Ostermann , CC BY-SA 3.0 /Petrarca, Teil eines Freskos von Andrea di Bartolo di Bargilla (um 1450), Uffizien, Andrea del Castagno – Web Gallery of Art: / Inscription sur bronze à Mars Nabelcus, Scan book Montagne de Lure encyclopédie d’une montagne de Haute Provence / Simulation, sunearthtools opentopomap, stellarium