Eingang der Kleinen Scheuer in der Felswand des Rosensteines, Foto, Thilo Parg
Im Jahr 1916 entdeckte R.R Schmid in der kleinen Scheuer auf dem Rosenstein den bislang spektakulärsten Fund auf dem Berg bei Heubach. Die Kleinplastik, eine Gaga- tschnitzerei, ist einer Larve der Dasselfliege nachempfunden. Diese Fliegen gehören zu den Endoparasiten, die hauptsächlich bei Paarhufern ihre Eier ablegen. Bei denen ver- ursachen dann die Larven je nach Fliegenart schmerzhafte Verdickungen in den Nasenschleimhäuten, oder große Beulen am Körper, in denen die Larven das End- stadium erleben. Die Weibchen der Dasselfliege haben wenig ausgebildete Mundwerk- zeuge, doch dafür umso besser ausgebildete Flügel, mit denen sie geschickt man- övrieren können.
Reh-Rachendassel (Cephenemyia stimulator) , Foto, Karsten Heinrich
Larve der Magendassel des Pferdes, Foto Kalumet
Diese Fähigkeit kommt ihnen dann zu gute, wenn sie ihre Eier in die Nasenlöcher der Tiere einschießen, oder in deren Hautfalten absetzen. Dort ist nach ungefähr 60 Tagen die Entwicklung der Larven im Körper zu Ende und dann werden sie ausgestoßen, um in der Außenwelt ihre Entwicklung zu beenden. Bei der Plastik stellt sich naturgemäß die Frage, warum eine Tier. das schmerzhafte Beulen versucht und zudem Tiere schwächt, als Kunstwerk dargestellt wurde. Archäologen erklären dies damit, dass die Menschen des Magdalénien die Larven als Nahrungsquelle nutzten. Um dies bei einem erlegten Tier sinvoll war, bleibt dahingestellt. Eine andere Erklärung bietet hier die Symbolik der Larve. Aus dem Blickwinkel der Zoologie betrachtet, verkörpert die Larve eine Übergangsphase zwischen dem Ei und dem späteren Tier. Ein Charakteristikum der Larve ist ihre eigenständige Gestalt, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem späteren Tier aufweist. Am deutlichsten wird dies beim Schmetterling, der sich aus einer Raupe über die anschließende Verpuppung zu einem farbenprächtigen Tier entwickelt. In der Larve ist der somit bereits der `Geist´, wie auch die spätere Gestalt des Tieres enthalten. Auf diese Charakteristik der Larve verweist auch der Ursprung des Wortes lava, das in der lateinischen Sprache mittelalterlicher Klöster als Geist, oder auch als Maske übersetzt wurde. Masken und Verkleidungen gehören mit zu den ältesten Ritualgegenständen der Menschheit. So dienten Masken seit Urzeiten dazu.. dass sich der Träger mit ihnen identifizierte und daraus seine Stärke gewann. Bei Tierdarstellungen sind es dann die Kräfte von Tieren, die durch das Tragen der Maske auf seinen Träge übergehen sollen. Mit diesen Vorgang der Bedeckung vollzieht der Träger eine rituelle Transformation, einen Wechsel von einer Wesenheit in eine neue.
Die aus Gagat geschnitzte Larve offenbart hier aber einen Grad der Abstraktion, der auch anderen Plastiken dieser Epoche zu eigen ist. Der Stein Gagat erhielt seinen Namen auf Grund des ersten Fundortes im Fluss Ayet in Lykien, in der heutigen Türkei. Er ist leicht zu bearbeiten und hat wie Bernstein die Eigenschaft, sich durch Reivung elektrisch aufzuladen. Diese Eigenschaft und auch seine dunkle Farbe machten den Stein zu einem beliebten Heilstein. So glaubten die Römer, dass der Stein vor dem bösen Blick schützen könne, Schlangen vertriebe und auch die Epilepsie besiege. Da- gegen sahen die Indianer Nordamerikas im Gagat einen Stein, der Trost nach dem Tod von nahen Verwandten spendet. Mit dieser Wirkung wird auch heute die besondere Heil- und Wirkkraft des Gagat erklärt. Vergleicht man aber das Vorbild einer Dassellarve mit dem Kunstwerk, hat die geometrisch klare Form nur eine vage Ähnlichkeit mit ihrem Naturvorbild. Hier gleicht die Rückenpartie einem Kreisausschnitt der durch mehrere Einkerbungen gegliedert ist Gerade diese geometrische Eigenart verweist hier auf ein Datum, das stellvertretend für den Aspekt der Wandlung steht: die Wintersonnenwende. An diesem Tag verläuft die Bahn der Sonne besonders flach und dieser Bogen entspricht auch dem Rücken der Larve aus Gagat. Wie sich die Bahn der Sonne wandelt, so steht auch der Mond für den Aspekt der Verwandlung. So erscheint er während den 8 Phasen in unterschiedlicher Gestalt am Himmel. Auf ihn verweisen die Einkerbungen im Rücken der Plastik. Werden die beiden dickeren Einkerbungen doppelt gezählt, so ergibt dies die Gesamtzahl von 13 Einkerbungen und die verweisen damit auf das Mondjahr mit 13 Monaten.
Bilder. Wikipedia/ Eingang der Kleinen Scheuer in der Felswand des Rosensteines, Foto, Thilo Parg , CC BY-SA 3.0 / Reh-Rachendassel (Cephenemyia stimulator) , Foto, Karsten Heinrich (& G. Kothe-Heinrich) , CC BY 3.0 / Larve der Magendassel des Pferdes, Foto Kalumet, CC BY-SA 3.0 /Sonnenbogen und die Larve, Gagatlarve,Foto Urgeschichtliches Museum Blaubeuren , eigen