
Ausgrabungsreste der Villa rustica, Foto Schwäbin
Am westlichen Ortsende Nürtingens wurden vom 1988 bis 1990 die Reste eines röm- ischen Gutshofes vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg freigelegt. Teilweise ge- schah dies in Zusammenarbeit mit Helfern des Schwäbischen Heimatbundes. Der Gutshof vom Bautyp der Villa rustica wurde um 100 n. Chr. hier errichtet. Knapp 123 Jahre später wurde die Anlage durch einen Band zerstört, der die Folge eines Alemannen-einfalles gewesen sein könnte. Die Anlage in Nürtingen unterscheidet sich von denen, im Kernland des Römischen Reiches gebauten Villen, denn in Gallien und Germanien wurde die Villa oft als Porticusvilla ausgeführt: Bei dieser Ausführung gliedert sich die Front in die beiden Eckrisaliten und den dazwischenliegenden Porticus, einer zur Sichtachse weis- ende offene Säulenhalle. An diese zentral liegende Säulenhalle grenzten die Wohn- und Arbeitsräume des Hausherrn und seiner Familie. Diese meist großzügig angelegten Räumlichkeiten verfügten in der Regel auch über einen adäquaten Standard, wie be- heizbare Baderäume, oder Badehäuser. Oftmals wurde auch ein Teil der Räume durch eine Fußbodenheizung mit Wärme versorgt. Ebenso waren geräumige Kellerräume vor-handen, in den auch das obligatorische Hausheilgtum lag, das den Laren oder ander- en Schutzgöttern geweiht war.

Ausrichtung der Villa rustica
Wie bei andren römischen Bauwerken, lässt sich auch beim Gutshof in Nürtingen eine eindeutige Ausrichtung auf einen Sonnenaufgang an einem wichtigen Tag im römischen Kalender identifizieren. Es ist der 11. April, der letzte Tag der Ludi Megalenses, der Feiern zu Ehren von Magna Mater. Die phrygische Fruchtbarkeitsgöttin, die am Berg Ida in Kleinasien verehrt wurde, spielte eine entscheidende Rolle in der römischen Ge- schichte.Während des 2. Punischen Krieges geriet Rom in eine existenzielle Krise. Nach verlorenen Schlachten sah sich Rom von den Göttern verlassen und deshalb die Not- wendigkeit deren Schutz wieder zurückzugewinnen. Eine Befragung des Orakels in Delphi und den Sibyillinischen Büchern ergab übereinstimmend, dass sich das Kriegsglück Roms erst ändern würde, wenn die in Pessinus und auf dem Berg Ida verehrte Göttin Mater Idaea, nach Rom gebracht würde. Eine hochrangige Delegation römischer Adliger reiste deshalb nach Pergamon, wo ihnen der dortige Herrscher König Attalos, den heil- igen, schwarzgrauen Meteorstein aus dem Tempel von Pessinius übergab. Er wurde als Verkörperung der Muttergottheit gesehen. Nach dem Eintreffendes Steines in Rom wurde er während einer feierlichen Zeremonie in den Tempel der Victoria auf dem Palatin gebracht. Die Prophezeiungen erwiesen sich tatsächlich als richtig, denn noch im selben Jahr wurde die punische Armee bei Zama vernichtend geschlagen.

Reliefdarstellung des Magna-Mater-Tempels,Villa Medici, Rom, Foto Sailko
Die phrygische Göttin hatte Rom ihren ersten großen Dienst erwiesen. Karthago wurde Teil des Römischen Reiches und damit zu einem wichtigen Getreidelieferant. Zu Ehren der Magna Mater wurde nun ein neuer Tempel erbaut, der am 10. April 191 v. Chr. einge- weiht wurde. 3 Jahre später wurden dann die Ludi Megalenses eingeführt. Trotz des Er- folges der Magna Mater stieß der Kult bald darauf auf Ablehnung innerhalb der Bevölkerung. Mit der Göttin waren auch Priester aus Kleinasien gekommen, die entgegen den kultischen Traditionen, ihre Zeremonien lärmend, mit Flötenspiel und wallenden Gewändern auf den öffentlichen Plätzen Roms vollzogen. Zudem war der mit der Magna Mater verbundene Atiskult, bei dem eine rituelle Kastration der Priester erfolgte vielen Bürgern zu anstößig. All dies änderte sich grundlegend während der Herrschaft von Augustus. Die phrygische Fruchtbarkeitsgöttin wurde nun zu einer trojanischen Gottheit erklärt und damit wurde sie automatisch auch Teil der römischen Gründungslegende, denn auch die Römer sollen ja auf Grund ihres Stammvaters Aeneas Abkömmlinge jenes legendären Stadtstaates gewesen sein. Die Göttin wandelte sich nun zur gütigen Göttin und Ovid berichtete, dass Augustus sogar gegenüber dem Tempel der Magna Mater wohne, den er nach einem Brand wieder aufbauen ließ. Augustus, der seine eigene trojanische Herkunft stets betonte, stellte die Göttin sogar in seine eigene Ahnenreihe imd gleichzeitig in eine Reihe mit Gottheiten wie Mars Ultor, Venus Genetrix, Apollo, Diana, Latona und Vesta. Laut den Schriften Ovids, war Magna Mater nun die Mutter der Götter, der das erste Fest im römischen Jahr zusteht.

Weibliche Statuette von Samarra, 7.Jahrtausend v.Chr., Foto PHGCOM
Nach Auffassung des Autos Manfred Ehmer, war diese Gottheit jedoch bereits von den Völkern der Megalithkultur nach Europa gebracht worden. In dieser Frühkultur Europas soll sie als Urmutter allen Seins verehrt worden sein. Ehmer sieht zahlreich Kultanlagen als Beweis für die Verehrung dieser Urgottheit, die auch für den damaligen Totenkult eine wichtige Rolle spielte. Kosmische Bezüge sieht er als einen der wichtigen Aspekte dieser Gottheit, denn Ehmer glaubt, dass die damalige Kultur die Erde in einem lebendigen Gesamtzusammenhang mit dem Kosmos sah. Die Fruchtbarkeit der Erde ermöglichen aber erst die fließenden Gewässer und die verkörperte der altitalische Gott Volturnus, dessen fest am 27.August gefeiert wurde. Damit erzählt die Anlage in Nürtingen von den beiden Gottheiten, deren Wirken für einen gedeihlichen Betrieb der Landwirtschaft unabdingbar war.

Kybele Relief von Manisa, Postkarte um 1900, Anonym
Bilder: Wikipedia, Ausgrabungsreste der Villa Rustica, Foto Schwäbin / Reliefdarstellung des Magna-Mater-Tempels,Villa Medici, Rom, Foto Sailko / Weibliche Statuette von Samarra, 7.Jahrtausend v.Chr., Foto PHGCOM / Kybele Relief von Manisa, Postkarte um 1900, Anonym – Scanned from an İzmir guide prepared on the occasion of 2005 Universiade Games / Simulation sunearthtools, stellarium
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