Wilhelm Hauff nach einem Gemälde von J. Behringer, Pastellkreide 1826
In der kurzen Zeit seines Lebens schuf der Stuttgarter Schriftsteller Wilhelm Hauff einen farbenprächtigen Kosmos an fantastischen Erzählungen und Märchen. Die Orte der Er- zählungen lagen auf dem Mond, im Orient, aber auch an heimischen Plätzen im Schwarz- wald oder auf der Schwäbischen Alb. Dort hatte es im eine Ruine besonders angetan, der Reußenstein. Ihre Entstehung erklärte er mit einer Volkssage, die weit mehr als eine erbauliche Geschichte darstellt. Schon die Beschreibung des Reußensteins, von dem Hauff erzählt, dass er auf einem jähen Felsen liegt und dort keine Nachbarschaft habe außer den Wolken und den Mond, weist auf einen entrückten Ort hin.. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man sich der Ruine aus Neidlingen kommend nähert und sie com Tal aus, auf dem Felsenturm erblickt.
Blick von Südwesten auf die Ruine Reußenstein, Foto Stefan Karl
Noch immer ist dieser besondere Ort Tag-täglich das Ziel von Wanderern und Kletterern, die sich an dem Felsenturm erproben. Oben angelangt, glaubt wohl jeder Besucher, dass, diese Mauern nur durch außergewöhnliche Umstände zustande gekommen sein konnten. Hauff, der vorgab, hier eine noch ältere Sage niedergeschrieben zu haben, erzählt hier von einem Riesen. Der lebte in der im westlich gelegenen Höhle unterhalb des Heimsteines. Er hatte unermessliche Goldschätze angehäuft und wollte eines Tages ebenso schöne Burg besitzen, wie die übrigen Ritter des Landes. Da er selbst aber nicht bauen konnte, rief er die Handwerker des Landes zu sich, damit sie ihm auf dem Reußenstein eine Burg bauten. Die aus allen Orten herbeigeeilten Meister und Gesellen bauten was der Riese ihnen auftrug. Als er schließlich einzog, entdeckte er voller Grimm m obersten Fenster ein- en fehlenden Nagel. Die Schlosser, die ihn vergaßen entschuldigten sich und versprach- en ihn einzuschlagen. Die wildesten Burschen, die sich dafür anboten hatten den Nagel einzuschlagen, traten von der Aufgabe zurück als sie vom Fels in den Abgrund blickten. Nach dem die Meister den 10-fachen Lohn boten, trat ein armer Geselle auf, der sich das Geld verdienen wollte um seine Liebste heiraten zu können. Der hartherzige Vater der Braut willigte nun in die Verbindung ein, denn er hoffte insgeheim, dass sich der Geselle bei der Arbeit den Hals brechen würde. Doch der Geselle hatte Glück. Er weckte den Riesen, der ihm mit seinem kräftigen Arm über den Abgrund hielt damit er so den letzten Nagel einschlagen konnte. Am Ende erhielt er seine Braut erhielt und vom Riesen auch noch die Burg als Geschenk.
.Burgruine Reußenstein, Blick aus einem der Höfe 2016, Foto Ursus minor
Mit dem Riesen, dem Fenster, dem Nagel und auch den Handwerkern verwendet Hauff Motive, die einen vielschichtige Symbolik besitzen. Seit alters her hat der Nagel die mythische Bedeutung auch etwas Immaterielles zusammen zuhalten. Schon die Römer schätzten seine zeichenhaften Charakter, in dem an der Stelle, wo sich auf dem Kapitol die Tempel der Minerva und des Jupiter berührten, jedes Jahr der heilige Nagel eingeschlagen wurde. Im Christentum dienen die 5 Nägel, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, der Erinnerung an das Leid, das er auf sich genommen hatte. Auch das Motiv des Fensters stammt aus dem christlichen Kontext, der dem studierten Theologen wohl vertraut war. Im Christentum gewann das Fenster eine besondere Bedeutung, denn es erlaubte dem göttlichen Licht ins innere des Kirchenschiffes zu dringen, dem Symbol der Gemeinde. Licht war sorgte somit für die Erkenntnis auf dem Weg zu Gott Auch die Handwerker, die in fast allen Erzählungen Hauffs auftauchen, haben hier eine symbolische Bedeutung. Für Hauff war Handwerk nicht nur Arbeit, sondern forderte durch die Beanspruchung der Sinne, den Geist, die Ethik und die Kraft des Menschen.
Der Riese Orion über dem Heimenstein
Die Heimensteinhöhle, der Wohnort jenes Riesen Heim, gilt als Rest eines erodierten Wasserlaufes im oberen Kalkgestein der Schwäbischen Alb. Schon damals war Sie eine Durchgangshöhle, deren Eingänge einen Höhenunterschied von 20 m aufwiesen. Doch ihre Lage und Ausrichtung ist bestechend, denn vom unteren Zugang aus kann man den Sonnenauigang über dem Reußenstein am 11. April beobachten. Die einstige Bedeutung dieses Tages ist längst vergessen. Erahnen lässt sie sich höchstens noch am Gedenktag des Ezechiel, einem der drei große biblischen Schriftpropheten, dem am Tag zuvor gedacht wird. Schließlich war er der erste, der ausführlich über seine Sichtung von Gottes Thronwagen schrieb. In Rom wurde der Tag noch gefeiert, dessen Bedeutung schon damals auf viel ältere Kulte zurückgeführt wurde.Der 11. April war das Ende der Ludi Megalenses, des Festes des Staatskultes der Magna Mater, das 7 Tage lang gefeiert wurde
Burgruine Reussenstein vom Heimenstein aus, Stahlstich aus der Zeit um 1845
Das Datum wurde wohl nicht zufällig gewählt, denn dies ist zugleich der 111. Tag nach der Wintersonnenwende. In dieser Zahl zeigt sich das göttliche Prinzip gleich dreifach. In der 1 erscheint sie als göttliche Kraft sowie als Symbol für den Beginn der Schöpfung. In der Quersumme drei wird sie dann zum Zeichen einer göttlichen Trinität. Wie die 1 für den Beginn steht , so steht die 3 für die Vollendung. Jedem Beginn folgt so auch der Tod und an ihn erinnert der 111.Vers der Bibel. Somit dürfte auch die Bedeutung beider Orte viel weiter zurückreichen, und die Höhle für die frünen Bewohner der Alb eine kultische Bedeutung bessen haben. An die Vergänglichkeit, den Tod und die Unterwelt erinnerte im 19. Jahrhundert aber auch ein himmlisches Schauspiel über der Heimsteinhöhle. Blickte man am Morgen von Hauffs Geburtstag auf vom Reußenstein zum Heimenstein, so ver- blasste dort jener himmlische Riese Orion, der bereits die Legenden Babylons bestimmte. Kurz vor Sonnenaufgang trat er über der Höhle die Reise in seine Heimstatt die Unterwelt an. Somit wurde der Ort gleich doppelt seiner Bedeutung gerecht. Als Heimstatt des Riesen und mit ihm ein Blick auf Hauffs Spiegelbild. Wie Orion, hatte Hauff bereits in jungen Jahren viel Ruhm erworben und konnte sich so wohl zurecht als literarischer Riese betrachten.
Bilder: Wikipedia / Wilhelm Hauff nach einem Gemälde von J. Behringer, Pastellkreide 1826, J. Behringer – Klaus Günzel: Die deutschen Romantiker. Artemis, Zürich 1995, gemeinfrei / Blick von Südwesten auf die Ruine Reußenstein, Stefan Karl , CC BY-SA 4.0 / Blick aus einem der Höfe 2016, Foto Ursus minor / Simulation sunearthtools, opentopomap / stellarium